Finsternis. Es war kurz nach sechs Uhr Morgen. Dnjeprpetrovsk lag im Dunst der nahen Atomwiederaufbereitungsanlage. Der Fluss zog langsam durch die Stadt. Im Radio spielte Igor, ein Lichtblick im nordkaukasischen Staatsfunk, ein Popstar für Arme im besten Sinn des Wortes. "Imagin" auf Russisch. Ein Klangdesaster. Russische Populärmusik war besser als gar keine Musik. "John Lennon", sagte Tamara, "haben wir auch, heißt nur anders". Igor eben.
Das Radio spielte unentwegt und kostenlos. Radios mussten sein. Der sicherste Kanal zu 200 Millionen Menschen wurde gefördert. "Stereo", höre ich Tamara sagen, "haben wir auch, heißt nur anders". Lautes Rauschen aus dem Empfangsgerät drückte den Lärm der Kleinstadt nach draußen und erstickte jedes Geräusch unter dem populärmusikalischen Dröhnen der Morgensendung. Igor war fertig, Ludmilla noch schlimmer. Polnische Arbeiterkinderprotestlieder. Schrecken in Zweikanal. Doppelt hält länger. Bis heute.
Laika hatte die letzte Glühbirne unserer Dreieckenwohnung durch ihr Ungeschick zerstört. Es herrschte Glühlampendrahtengpass im südlichen Teil der Sowjetunion. Ein sibirisches Beleuchtungsprogramm anlässlich des 100-jährigen Jubiläums zu den Planungen der transsibirischen Eisenbahn hatte die Vorräte der UdSSR in wenigen Wochen verschlungen. Glühlampendrahtengpass. Kerzen gab es nicht. Undichte Gasleitungen hatten bereits das Plattenhaus zwei Straßen weiter eingeebnet. Kerzenverbot in Dnjeprpetrovsk. Es war finster. Kurz nach sechs Uhr Morgen. Und Igor sang schon wieder. "Imagine", glaube ich heute. Auf Russisch.
Dnjeprpetrovsk, 15. September 1987
Bitte mögen Sie uns auch! Bitte sagen Sie es weiter! Dankeschön.
© Ostblock Rekords 2014